Bundestariftreuegesetz 2025: Chance für faire Löhne oder Hemmschuh für den Mittelstand?

Bundestariftreuegesetz 2025: Chance für faire Löhne oder Hemmschuh für den Mittelstand?

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Das geplan­te Bun­des­ta­rif­treue­ge­setz (BTTG) steht kurz vor der Ein­füh­rung und soll die Ver­ga­be öffent­li­cher Auf­trä­ge des Bun­des grund­le­gend neu gestal­ten. Ziel ist es, die Tarif­bin­dung in Deutsch­land zu stär­ken und fai­re Wett­be­werbs­be­din­gun­gen zu schaf­fen, indem Lohn­dum­ping bei staat­lich finan­zier­ten Pro­jek­ten unter­bun­den wird. Doch das Vor­ha­ben, das die Ein­hal­tung tarif­ver­trag­li­cher Arbeits­be­din­gun­gen zur Bedin­gung für Bun­des­auf­trä­ge macht, birgt sowohl Chan­cen als auch erheb­li­che Her­aus­for­de­run­gen, ins­be­son­de­re für den Mit­tel­stand und klei­ne­re Unter­neh­men.

Die Kernidee des Bundestariftreuegesetzes (BTTG)

Die Bun­des­re­gie­rung ver­folgt mit dem Bun­des­ta­rif­treue­ge­setz das zen­tra­le Ziel, die seit Jah­ren sin­ken­de Tarif­bin­dung in Deutsch­land umzu­keh­ren. Aktu­ell arbei­ten nur noch rund 41 bis 49 Pro­zent der Beschäf­tig­ten in tarif­ge­bun­de­nen Betrie­ben. Mit dem BTTG soll der Staat sei­ne Markt­macht als größ­ter Auf­trag­ge­ber nut­zen, um Unter­neh­men dazu zu bewe­gen, ihren Ange­stell­ten min­des­tens die im ent­spre­chen­den Tarif­ver­trag fest­ge­leg­ten Arbeits­be­din­gun­gen zu gewäh­ren. Dies betrifft nicht nur Löh­ne, son­dern auch ande­re Kon­di­tio­nen wie Arbeits­zeit, Urlaub und Son­der­zah­lun­gen. Damit soll Lohn­dum­ping mit Steu­er­geld ein Rie­gel vor­ge­scho­ben und tarif­ge­bun­de­ne Unter­neh­men im Wett­be­werb geschützt wer­den, die bis­her mög­li­cher­wei­se durch Unter­neh­men mit nied­ri­ge­ren Löh­nen unter­bo­ten wur­den.

Das Gesetz sieht vor, dass öffent­li­che Auf­trä­ge des Bun­des künf­tig nur noch an Unter­neh­men ver­ge­ben wer­den, die sich zur Ein­hal­tung tarif­ver­trag­li­cher Arbeits­be­din­gun­gen ver­pflich­ten – das soge­nann­te „Tarif­treue­ver­spre­chen“. Für Bau­auf­trä­ge liegt die Schwel­le bei 50.000 Euro, für Lie­fer- und Dienst­leis­tungs­auf­trä­ge bei 30.000 Euro. Bei Start-ups in den ers­ten vier Jah­ren nach Grün­dung gilt für all­ge­mei­ne Ver­trä­ge eine höhe­re Schwel­le von 100.000 Euro.

Umsetzung und Compliance-Anforderungen

Die Umset­zung des Bun­des­ta­rif­treue­ge­set­zes bringt umfas­sen­de Pflich­ten für Auf­trag­neh­mer mit sich. Kern­stück ist das Tarif­treue­ver­spre­chen, das Unter­neh­men abge­ben müs­sen, um sich für öffent­li­che Auf­trä­ge zu qua­li­fi­zie­ren. Die­ses Ver­spre­chen umfasst nicht nur die direk­ten Arbeit­neh­mer des Auf­trag­neh­mers, son­dern erstreckt sich auch auf deren Nach­un­ter­neh­mer und beauf­trag­te Ver­lei­her. Die Auf­trag­neh­mer sind ver­pflich­tet, die Ein­hal­tung der tarif­li­chen Bedin­gun­gen bei ihren Nach­un­ter­neh­mern sicher­zu­stel­len und zu über­prü­fen, um Ver­trags­stra­fen oder den Aus­schluss von der öffent­li­chen Auf­trags­ver­ga­be zu ver­mei­den.

Nachweispflichten und Kontrollen

Unter­neh­men, die einen öffent­li­chen Auf­trag erhal­ten, müs­sen die Ein­hal­tung der tarif­li­chen Bedin­gun­gen nach­wei­sen kön­nen. Wel­che Unter­la­gen genau dafür vor­zu­le­gen sind, ist noch nicht voll­stän­dig kon­kre­ti­siert, es sol­len jedoch geeig­ne­te Doku­men­te wie Lohn­ab­rech­nun­gen ver­langt wer­den kön­nen. Die Ver­ga­be­stel­len der Bun­des­auf­trag­ge­ber wer­den die Ein­hal­tung stich­pro­ben­ar­tig kon­trol­lie­ren. Eine Kon­trol­le muss in jedem Fall statt­fin­den, wenn Hin­wei­se Drit­ter einen Ver­stoß nahe­le­gen.

Um den büro­kra­ti­schen Auf­wand zu begren­zen, ist ein Prä­qua­li­fi­zie­rungs­ver­fah­ren vor­ge­se­hen. Zer­ti­fi­zier­te Unter­neh­men kön­nen sich dadurch von wie­der­hol­ten Ein­zel­nach­wei­sen befrei­en las­sen und ihre Tarif­treue qua­si im Vor­aus beschei­ni­gen. Den­noch stellt die umfas­sen­de Nach­weis- und Doku­men­ta­ti­ons­pflicht eine erheb­li­che Anfor­de­rung an die Com­pli­ance im Ver­ga­be­recht dar. Ver­stö­ße gegen das Tarif­treue­ver­spre­chen, Nach­weis- und Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten oder die Ein­hal­tung der Arbeits­be­din­gun­gen kön­nen gra­vie­ren­de Fol­gen haben, dar­un­ter Ver­trags­stra­fen von bis zu zehn Pro­zent des Auf­trags­wer­tes, Kün­di­gung des Auf­trags und der Aus­schluss von zukünf­ti­gen Ver­ga­be­ver­fah­ren. Ein robus­tes Com­pli­ance-Sys­tem wird somit zu einer zen­tra­len Vor­aus­set­zung, um über­haupt öffent­li­che Auf­trä­ge erhal­ten zu kön­nen und im Fal­le von Ver­feh­lun­gen eine „Selbst­rei­ni­gung“ des Unter­neh­mens zu ermög­li­chen.

Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Gera­de für den Mit­tel­stand und KMU, die häu­fig nicht tarif­ge­bun­den sind, birgt das Bun­des­ta­rif­treue­ge­setz poten­zi­el­le Wett­be­werbs­nach­tei­le. Obwohl die Auf­trags­wert­schwel­le auf 50.000 Euro (bzw. 30.000/50.000 Euro für bestimm­te Auf­trags­ar­ten) ange­ho­ben wur­de, kri­ti­sie­ren Wirt­schafts­ver­bän­de, dass Aus­nah­men oder Erleich­te­run­gen für KMU oder Start-ups im Gesetz feh­len. Vie­le Fami­li­en­un­ter­neh­men und mit­tel­stän­di­sche Betrie­be war­nen, dass sie auf­grund des erhöh­ten büro­kra­ti­schen Mehr­auf­wands und der kom­ple­xen Com­pli­ance-Anfor­de­run­gen vom Wett­be­werb um öffent­li­che Auf­trä­ge zurück­ge­drängt wer­den könn­ten.

Bürokratie statt Bürokratieabbau

Die Kri­tik am BTTG ent­zün­det sich maß­geb­lich an der Befürch­tung, dass es ent­ge­gen dem poli­ti­schen Ziel des Büro­kra­tie­ab­baus zu einem erheb­li­chen Anstieg der admi­nis­tra­ti­ven Last für Unter­neh­men füh­ren wird. Die Not­wen­dig­keit, Tarif­be­din­gun­gen nach­zu­wei­sen und deren Ein­hal­tung zu kon­trol­lie­ren, wird sowohl bei den Unter­neh­men als auch bei den Ver­ga­be­stel­len zu einem Mehr­auf­wand füh­ren. Dies könn­te beson­ders für klei­ne­re Betrie­be, die kei­ne eige­nen Rechts- oder Com­pli­ance-Abtei­lun­gen unter­hal­ten, eine Über­for­de­rung dar­stel­len und sie davon abhal­ten, sich über­haupt an öffent­li­chen Aus­schrei­bun­gen zu betei­li­gen. Der Wirt­schafts­rat kri­ti­siert, dass es wider­sin­nig sei, einer­seits ein gro­ßes Infra­struk­tur-Son­der­ver­mö­gen auf­zu­le­gen und ande­rer­seits die Ver­ga­be­richt­li­ni­en so zu ver­kom­pli­zie­ren, dass das Geld nicht effi­zi­ent aus­ge­ge­ben wer­den kann.

Einschränkung des Wettbewerbs

Wäh­rend das BTTG fai­ren Wett­be­werb durch die Ver­hin­de­rung von Lohn­dum­ping för­dern soll, sehen Kri­ti­ker auch eine Ein­schrän­kung des Wett­be­werbs selbst. Unter­neh­men, die sich bewusst gegen kon­ven­tio­nel­le Tarif­ver­trä­ge ent­schie­den haben – mög­li­cher­wei­se auf­grund fle­xi­ble­rer Arbeits­mo­del­le oder über­ta­rif­li­cher Bezah­lung außer­halb fes­ter Tarif­struk­tu­ren –, könn­ten benach­tei­ligt wer­den. Dies könn­te zu Ver­wer­fun­gen im Markt füh­ren und die Aus­wahl an Bie­tern für öffent­li­che Auf­trä­ge, ins­be­son­de­re in Bran­chen mit gerin­ger Tarif­bin­dung wie der Digi­tal­wirt­schaft, ein­schrän­ken. Die Kon­se­quenz könn­te eine Ver­lang­sa­mung von drin­gend benö­tig­ten Infra­struk­tur­pro­jek­ten sein, da weni­ger Unter­neh­men bereit oder in der Lage sind, die Vor­aus­set­zun­gen zu erfül­len.

Tarifbindung fördern: Ein Blick in die Zukunft

Das Bun­des­ta­rif­treue­ge­setz reiht sich ein in eine Rei­he von poli­ti­schen Maß­nah­men, die die Tarif­bin­dung in Deutsch­land stär­ken sol­len. Die Bun­des­re­gie­rung geht davon aus, dass das Gesetz einen erheb­li­chen Anreiz für mehr Unter­neh­men schaf­fen wird, Tarif­ver­trä­ge anzu­wen­den und damit die Arbeits­be­din­gun­gen für vie­le Beschäf­tig­te zu ver­bes­sern. Dies hät­te nicht nur posi­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Ein­kom­men und die Kauf­kraft, son­dern auch auf die Sozi­al­ver­si­che­rungs­sys­te­me und Steu­er­ein­nah­men.

Befür­wor­ter sehen im BTTG einen wich­ti­gen Schritt, um der sin­ken­den Tarif­bin­dung ent­ge­gen­zu­wir­ken und die Sozi­al­part­ner­schaft als Fun­da­ment der sozia­len Markt­wirt­schaft zu fes­ti­gen. Es ist ein kla­res Signal, dass der Staat „Gute Arbeit“ för­dert und nicht akzep­tiert, dass immer weni­ger Beschäf­tig­te vom Schutz von Tarif­ver­trä­gen pro­fi­tie­ren.

Fazit

Das Bun­des­ta­rif­treue­ge­setz (BTTG) 2025 mar­kiert einen ent­schei­den­den Para­dig­men­wech­sel in der öffent­li­chen Auf­trags­ver­ga­be in Deutsch­land. Mit dem kla­ren Ziel, die Tarif­bin­dung zu stär­ken und fai­re Arbeits­be­din­gun­gen zu gewähr­leis­ten, ver­pflich­tet es Unter­neh­men, die sich um Bun­des­auf­trä­ge bewer­ben, zur Ein­hal­tung tarif­ver­trag­li­cher Stan­dards. Wäh­rend Befür­wor­ter dies als wich­ti­gen Schritt gegen Lohn­dum­ping und zur Stär­kung der Arbeit­neh­mer­rech­te sehen, äußert der Mit­tel­stand erheb­li­che Beden­ken. Die befürch­te­ten Büro­kra­tie­zu­wäch­se, Nach­weis­pflich­ten und die poten­zi­el­len Wett­be­werbs­nach­tei­le für nicht-tarif­ge­bun­de­ne KMU könn­ten den Zugang zu öffent­li­chen Auf­trä­gen erschwe­ren und Inves­ti­tio­nen in wich­ti­ge Infra­struk­tur­pro­jek­te ver­lang­sa­men. Die Umset­zung des BTTG wird zei­gen müs­sen, ob es gelingt, die posi­ti­ven Zie­le der Tarif­bin­dung zu errei­chen, ohne dabei die Wett­be­werbs­fä­hig­keit und die admi­nis­tra­ti­ve Belast­bar­keit der deut­schen Unter­neh­mens­land­schaft zu über­for­dern.