Die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft ist für Unternehmen keine Option mehr, sondern eine strategische Notwendigkeit. Im Zentrum dieser Entwicklung stehen die Beschaffung und die Lieferkette, die maßgeblich zum ökologischen Fußabdruck und zur sozialen Verantwortung eines Unternehmens beitragen. Digitale Technologien, insbesondere Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung, erweisen sich hier als entscheidende Katalysatoren, um die Komplexität nachhaltiger Anforderungen zu meistern und echte Wertschöpfung zu erzielen. Sie ermöglichen nicht nur die Einhaltung wachsender regulatorischer Vorgaben wie des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), sondern schaffen auch die Grundlage für resiliente, transparente und tatsächlich nachhaltige Lieferketten.
Die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der nachhaltigen Beschaffung
KI revolutioniert die Beschaffung, indem sie Prozesse automatisiert, die Entscheidungsfindung verbessert und Risiken mindert. Im Kontext der Nachhaltigkeit ermöglicht KI Unternehmen, intelligentere und schnellere Entscheidungen zu treffen, die Kosten, Emissionen, Vorlaufzeiten und Risiken abwägen. Durch maschinelles Lernen können strategische Chancen zur Produkt- und Lieferantenoptimierung identifiziert werden, wobei sowohl Ertragschancen als auch Umweltauswirkungen berücksichtigt werden.
KI-gestützte Lieferantenbewertung und Risikomanagement
Ein zentraler Anwendungsfall ist die KI-gestützte Lieferantenbewertung. KI-Modelle können potenzielle Lieferanten für jedes Material in der Lieferkette bestimmen und soziale sowie Umweltrisiken basierend auf Länderbewertungen einschätzen. Dies ist entscheidend, da Unternehmen zunehmend gefordert sind, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihrer gesamten Lieferkette zu beachten. KI hilft dabei, Daten zu analysieren und potenzielle Risiken oder Bereiche der Nichteinhaltung zu identifizieren, sodass proaktive Maßnahmen ergriffen werden können. Beispielsweise nutzen Unternehmen wie Porsche, Audi und Volkswagen KI, um lieferantenbezogene Nachrichten auf öffentlichen Plattformen zu analysieren und so frühzeitig Nachhaltigkeitsrisiken zu minimieren.
Optimierung von Prozessen und Ressourceneffizienz
KI kann auch zur Optimierung von Logistiknetzwerken, Routenplanung und Lagerhaltung eingesetzt werden, was Emissionen und Energieverbrauch senkt. Präzisere Bedarfsprognosen und Wartungsanforderungen reduzieren Überproduktion und unnötige Ausgaben. Durch die Integration von IoT-Sensoren und KI können Lieferketten in Echtzeit überwacht und analysiert werden, um ineffiziente Prozesse zu identifizieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Digitalisierung und ESG-Einkauf: Transparenz schaffen
Die Digitalisierung ist der Schlüssel zur Schaffung von Transparenz in komplexen globalen Lieferketten. Sie ermöglicht es, ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) systematisch in den Einkauf zu integrieren und von einem reinen Compliance-Faktor zu einer aktiven Steuerungsgröße zu transformieren.
Herausforderungen und Potenziale der digitalen Integration
Obwohl die Bedeutung der digitalen Integration von ESG-Daten erkannt wird, gibt es hier noch große Rückstände. Eine Umfrage zeigt, dass die digitale Integration von ESG-Daten und KPIs in Beschaffungssystemen noch relativ gering ist. Dies betrifft insbesondere Bereiche wie Risikomanagementsysteme und Ausschreibungsprozesse, wo ESG-Kriterien als gewichtete Faktoren zur Entscheidungsfindung dienen könnten. Dabei ist eine belastbare Datenintegration über Cloud-basierte Plattformen entscheidend, um Lieferantenselbstauskünfte, Auditberichte, CO2-Bilanzen oder Risikoindikatoren zentral zu verwalten und dynamisch zu bewerten.
Digitale Werkzeuge für nachhaltige Kaufentscheidungen
Digitale Tools ermöglichen es, ESG-Informationen mit operativen Kennzahlen zu verknüpfen. So kann beispielsweise der Einfluss der CO2-Bilanz eines Lieferanten auf den Product-Carbon-Footprint nachvollzogen oder Risiken aus fehlenden Sozialstandards bewertet werden. Eine gute Informations- und Datengrundlage ist der Schlüssel zu nachhaltigen Einkaufsentscheidungen. Unternehmen können dadurch nicht nur ihre Nachhaltigkeitsziele effizient umsetzen, sondern auch Gesetzesanforderungen wie LkSG, CSRD und EUDR erfüllen.
Automatisierung der Lieferkette für mehr Nachhaltigkeit
Automatisierung im Supply Chain Management (SCA) zielt darauf ab, manuelle Aufgaben in der Lieferkette zu automatisieren, um Effizienz und Transparenz zu erhöhen und Kosten zu senken. Im Kontext der Nachhaltigkeit spielt SCA eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks.
Effizienzsteigerung und Ressourcenoptimierung
Automatisierungstechnologien, darunter Robotik, Robotic Process Automation (RPA), autonome Fahrzeuge, Drohnen, sowie ERP-Systeme, KI, maschinelles Lernen und IoT, vernetzen Geräte und Sensoren, um Waren in Echtzeit zu verfolgen und Prozesse zu optimieren. Dies führt zu einer effizienteren Transportplanung, optimierten Routen und Fahrzeugauslastung, was wiederum CO2-Emissionen und Treibstoffkosten reduziert. In Lagerhallen kann Automatisierung Überproduktion vermeiden und den Energieverbrauch durch optimierte Lagerhaltung senken. Thyssenkrupp Materials Services beispielsweise will durch die Digitalisierung und Automatisierung interner Prozesse und der Vernetzung mit Kundendaten bereits ab 2030 klimaneutral agieren.
Automatisierte Datenerfassung für ESG-Reporting
Ein weiterer Vorteil der Automatisierung ist die effizientere Datenerfassung für das ESG-Reporting und die CO2-Bilanzierung. Unternehmen müssen die Erfassung ihrer Kohlendioxidemissionen und anderer Umweltdaten automatisieren, um diese Informationen problemlos an Aufsichtsbehörden und Lieferanten melden zu können. Funktionen wie das automatisierte Auslesen von Rechnungen zur CO2-Bilanzierung sparen Zeit und reduzieren Fehler.
ESG-Software-Lösungen: Der Motor für Nachhaltigkeit
Spezialisierte ESG-Software-Lösungen sind unerlässlich, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, regulatorische Anforderungen zu erfüllen und transparent über ESG-Leistungen zu berichten. Sie konsolidieren Daten aus verschiedenen Quellen, erstellen Berichte und überwachen die ESG-Performance.
Funktionsumfang und Anbieterlandschaft
Der Markt bietet eine Vielzahl von ESG-Softwarelösungen, die Unternehmen bei der Datenerfassung, ‑analyse und Berichterstellung unterstützen. Beispiele hierfür sind Plan A, Workiva, Lucanet, Salesforce Net Zero Cloud, Code Gaia, Verso, Planted.green und IntegrityNext. Diese Lösungen bieten oft vorgefertigte Vorlagen, die globalen Standards wie GRI, DNK und der EU-Taxonomie entsprechen, automatisierte Datenerfassung und Integration in Finanzberichterstattungsprozesse.
CO2-Bilanzierung und Lieferkettenmanagement
Besonders hervorzuheben sind Funktionen zur CO2-Berechnung, ‑Prognose und Compliance. Viele Softwarelösungen helfen dabei, Scope-1‑, Scope-2- und Scope-3-Emissionen zu berechnen und zu verfolgen, was für das Reporting unter der CSRD entscheidend ist, da bis zu 90% des CO2-Fußabdrucks oft außerhalb der Werkshallen in der vor- und nachgelagerten Lieferkette entstehen. Einige Lösungen bieten zudem ein umfassendes Lieferkettenmanagement, um die Nachhaltigkeit und Compliance der Lieferanten zu überwachen und zu verbessern.
Datenanalyse und CO2-Fußabdruck Messung digital
Ohne präzise Datenanalyse und die digitale Messung des CO2-Fußabdrucks bleiben Nachhaltigkeitsstrategien oberflächlich. Fehlende Daten sind das zentrale Hindernis für viele Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Herausforderungen bei der Datenerfassung und ‑qualität
Unternehmen stehen vor Herausforderungen hinsichtlich des Datenvolumens, der Datenquellen, ‑formate, ‑verfügbarkeit und ‑qualität. Eine fundierte Informations- und Datengrundlage ist jedoch entscheidend, um Nachhaltigkeitsziele effizient umzusetzen. Der digitale CO2-Fußabdruck umfasst die Umweltauswirkungen digitaler Technologien über ihren gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung bis zur Nutzung und Entsorgung.
Digitale Tools für präzise CO2-Messung
Spezialisierte Software wie CalcuQuote ermöglicht die KI-gestützte Messung des CO2-Fußabdrucks von Produkten in der Elektronikfertigung, wodurch Berechnungszeiten von Monaten auf Minuten verkürzt werden können. Diese Tools generieren prüfungsfähige, rückverfolgbare Kohlenstoffdaten für ESG-Ziele, Scope-3-Berichterstattung, Ökodesign und digitale Produktpässe. Kontinuierliche Messung und Überwachung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen sind entscheidend, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Kostenlose Lösungen wie das ecocockpit unterstützen Unternehmen zudem bei der Erstellung ihrer Klima-Bilanz und der Identifizierung von CO2-Treibern.
Fazit
Die Synergie aus Künstlicher Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung ist unverzichtbar für die Gestaltung nachhaltiger Beschaffungsprozesse und transparenter Lieferketten. Diese Technologien ermöglichen es Unternehmen nicht nur, den komplexen Anforderungen der ESG-Regulatorik gerecht zu werden und Risiken zu minimieren, sondern auch proaktiv Chancen für ökologische und ökonomische Wertschöpfung zu identifizieren. Durch datengestützte Entscheidungen, optimierte Abläufe und eine präzise Messung des CO2-Fußabdrucks können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele effizient erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und das Vertrauen ihrer Stakeholder gewinnen. Die Investition in entsprechende Software-Lösungen und die Etablierung einer umfassenden Datenstrategie sind dabei der Grundstein für eine zukunftsfähige und verantwortungsvolle Unternehmensführung.
Weiterführende Quellen
https://beschaffung-aktuell.industrie.de/einkauf/esg-risiken-digital-managen-und-meistern/
https://www.ey.com/de_at/insights/sustainability/resiliente-lieferketten