Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land: Tra­di­ti­on, Nach­hal­tig­keit und Kul­tur­er­be

Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land: Tra­di­ti­on, Nach­hal­tig­keit und Kul­tur­er­be

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Die Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land reprä­sen­tiert eine ein­zig­ar­ti­ge und jahr­hun­der­te­al­te Form der gemein­schaft­li­chen Wald­be­wirt­schaf­tung. Mehr als nur eine land- und forst­wirt­schaft­li­che Metho­de, ver­kör­pert sie tief ver­wur­zel­te Tra­di­tio­nen, eine bemer­kens­wer­te Form der Nach­hal­tig­keit und wur­de jüngst als imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be aner­kannt. Doch wie hat sich die­se his­to­ri­sche Pra­xis bis heu­te erhal­ten und wel­che Rol­le spielt sie für die Zukunft der regio­na­len Wäl­der und der Gemein­schaft? Die­ser Arti­kel beleuch­tet die viel­schich­ti­gen Facet­ten der Hau­bergs­wirt­schaft, von ihren his­to­ri­schen Ursprün­gen bis zu ihrer Bedeu­tung als leben­di­ges Kul­tur­er­be in der moder­nen Zeit.

Ursprün­ge und Ent­wick­lung der Hau­bergs­wirt­schaft

Die Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land blickt auf eine lan­ge Geschich­te zurück, deren Ursprün­ge sich bis ins Mit­tel­al­ter datie­ren las­sen. Die­se spe­zi­el­le Form der Wald­nut­zung ent­wi­ckel­te sich als direk­te Ant­wort auf die spe­zi­fi­schen geo­lo­gi­schen und sozio­öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen der Regi­on. Das Sie­ger­land war und ist geprägt von Mit­tel­ge­birgs­land­schaf­ten mit oft kar­gen Böden und einer über lan­ge Zeit bedeu­ten­den Mon­tan­in­dus­trie. Der hohe Bedarf an Holz für die Erz­ge­win­nung (als Brenn­holz für die Ver­hüt­tung und als Gru­ben­holz), an Holz­koh­le, an Lohe (Eichen­rin­de für die Leder­ger­bung) sowie an Ein­streu und Dün­ger für die kar­ge Land­wirt­schaft zwang die Men­schen zu einer äußerst effi­zi­en­ten und gemein­schaft­li­chen Nut­zung der begrenz­ten Wald­flä­chen.

Die Ent­wick­lung der Hau­bergs­wirt­schaft war eng ver­knüpft mit der Orga­ni­sa­ti­on der loka­len Bevöl­ke­rung in soge­nann­ten Hau­bergs­ge­nos­sen­schaf­ten. Die­se Genos­sen­schaf­ten, oft aus Dorf­ge­mein­schaf­ten her­vor­ge­gan­gen, besa­ßen gemein­schaft­lich grö­ße­re Wald­flä­chen. Sie ent­wi­ckel­ten im Lau­fe der Jahr­hun­der­te detail­lier­te Regeln und Ver­fah­ren für die Bewirt­schaf­tung, die von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on wei­ter­ge­ge­ben wur­den. Ziel war es, die ver­schie­de­nen benö­tig­ten Wald­pro­duk­te nach­hal­tig zu gewin­nen und gleich­zei­tig die Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit des Wal­des zu erhal­ten. Die­se Tra­di­ti­on der gemein­schaft­li­chen, auf Nut­zungs­viel­falt aus­ge­rich­te­ten Wald­be­wirt­schaf­tung präg­te die Land­schaft und das sozia­le Gefü­ge im Sie­ger­land über Jahr­hun­der­te. Obwohl sich die öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen und der Bedarf an bestimm­ten Pro­duk­ten (wie Lohe oder Gru­ben­holz) stark ver­än­dert haben, hat sich die Grund­struk­tur und die Idee der gemein­schaft­li­chen Nut­zung vie­ler­orts bis heu­te erhal­ten.

Die Pra­xis der gemein­schaft­li­chen Wald­be­wirt­schaf­tung

Die kon­kre­te Pra­xis der Hau­bergs­wirt­schaft ist durch ein Rota­ti­ons­sys­tem und die enge Koope­ra­ti­on inner­halb der Hau­bergs­ge­nos­sen­schaf­ten gekenn­zeich­net. Herz­stück ist der Nie­der­wald­hieb: Die Bäu­me, meist Eichen und Bir­ken, wer­den nach einem fest­ge­leg­ten Zyklus von typi­scher­wei­se 15 bis 20 Jah­ren ober­ir­disch abge­schla­gen. Der Stumpf (Stock) bleibt im Boden und treibt neu aus, wodurch sich der Wald aus Stock­aus­schlä­gen rege­ne­riert, anstatt aus Samen. Die­se Metho­de ermög­licht eine ver­gleichs­wei­se schnel­le Nach­lie­fe­rung von Holz und ande­ren Pro­duk­ten.

Die Orga­ni­sa­ti­on der Arbeit liegt bei der Hau­bergs­ge­nos­sen­schaft. Ein bestimm­ter Teil der gesam­ten Gemein­schafts­waldflä­che, der “Hau­berg”, wird jedes Jahr zur Nut­zung frei­ge­ge­ben. Inner­halb die­ses Teils wer­den die Par­zel­len (oft als “Gewan­ne” bezeich­net) an die ein­zel­nen Mit­glie­der der Genos­sen­schaft zur Bear­bei­tung ver­teilt. Der Nie­der­wald­hieb fin­det tra­di­tio­nell in den Win­ter­mo­na­ten statt. Im Früh­jahr erfolg­te frü­her die Gewin­nung der Lohe von den geschla­ge­nen Eichen, bevor die Blät­ter aus­trie­ben. Anschlie­ßend wur­den die Flä­chen oft land­wirt­schaft­lich genutzt (z.B. zum Anbau von Rog­gen oder als Wei­de­flä­che), bevor der Wald wie­der auf­wach­sen konn­te. Die Holz­nut­zung kon­zen­trier­te sich auf Brenn­holz, Gru­ben­holz und Pfäh­le. Die gemein­schaft­li­che Wald­be­wirt­schaf­tung erfor­der­te und för­der­te einen star­ken Zusam­men­halt und kla­re Regeln für die Arbeits­tei­lung und die Ver­tei­lung der Erträ­ge unter den Mit­glie­dern der Genos­sen­schaft. Die­se Form der Orga­ni­sa­ti­on und Pra­xis der Wald­be­wirt­schaf­tung unter­schei­det den Hau­berg maß­geb­lich von ande­ren Wald­for­men.

Öko­lo­gi­sche Aspek­te und Nach­hal­tig­keit

Die Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land wird oft als Para­de­bei­spiel für nach­hal­ti­ge Wald­nut­zung ange­führt, ins­be­son­de­re in ihrer his­to­ri­schen Form. Sie basiert auf einem Nie­der­wald­sys­tem, bei dem Bäu­me (vor­wie­gend Eichen und Bir­ken) in regel­mä­ßi­gen Zyklen – frü­her oft zwi­schen 15 und 20 Jah­ren – “auf den Stock” gesetzt, also dicht über dem Boden gefällt, wer­den. Dies för­dert den Aus­trieb aus dem ver­blei­ben­den Stumpf und ermög­licht so eine kon­ti­nu­ier­li­che Holz­pro­duk­ti­on ohne Neu­pflan­zung.

Aus öko­lo­gi­scher Sicht bie­tet die­se Pra­xis meh­re­re Vor­tei­le. Das zykli­sche Fäl­len und der dar­auf fol­gen­de Wie­der­be­wuchs schaf­fen lich­te Wald­struk­tu­ren, die eine höhe­re Arten­viel­falt begüns­ti­gen kön­nen als dich­te Hoch­wäl­der. Licht­lie­ben­de Pflan­zen und dar­auf spe­zia­li­sier­te Insek­ten und Vögel fin­den hier geeig­ne­te Lebens­räu­me. Die kur­zen Umtriebs­zei­ten und die Nut­zung der Rin­de (frü­her für Gerb­stof­fe) und des Hol­zes (als Brenn­holz und Gru­ben­holz) sorg­ten für eine fast voll­stän­di­ge Ver­wer­tung der Bio­mas­se. Die Boden­re­ge­ne­ra­ti­on pro­fi­tier­te his­to­risch von der Asche der Köh­ler­stel­len und der Bewei­dung nach der Ern­te, die den Boden offen hiel­ten und Nähr­stof­fe ein­brach­ten.

Kri­ti­sche Stim­men wei­sen dar­auf hin, dass inten­si­ve Nie­der­wald­wirt­schaft über lan­ge Zeit­räu­me zu einer Ver­ar­mung des Bodens füh­ren kann, ins­be­son­de­re wenn kei­ne Nähr­stof­fe zurück­ge­führt wer­den und die Bio­mas­se voll­stän­dig ent­zo­gen wird. Auch die Domi­nanz weni­ger Baum­ar­ten im tra­di­tio­nel­len Hau­berg kann die öko­lo­gi­sche Wider­stands­fä­hig­keit beein­träch­ti­gen. Den­noch wird die moder­ne Hau­bergs­wirt­schaft, die sich an aktu­el­le öko­lo­gi­sche Erkennt­nis­se anpasst, wei­ter­hin als nach­hal­ti­ge gemein­schaft­li­che Wald­be­wirt­schaf­tung betrach­tet, die tra­di­tio­nel­les Wis­sen und moder­ne Forst­wirt­schaft ver­eint. Sie­ger­län­der Hau­bergs­wirt­schaft im Lan­des­in­ven­tar imma­tri­el­les … (siwiarchiv.de) unter­streicht die­sen Aspekt.

Die Hau­bergs­wirt­schaft als Imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be

Die Aner­ken­nung der Hau­bergs­wirt­schaft als Imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be Deutsch­lands im Jahr 2015 durch die Deut­sche UNESCO-Kom­mis­si­on war ein bedeu­ten­der Mei­len­stein für die Regi­on und die Bewah­rer die­ser Tra­di­ti­on. Die­se Ehrung wür­digt nicht nur die his­to­ri­sche Bedeu­tung der Hau­bergs­wirt­schaft für das Über­le­ben und die Ent­wick­lung der Men­schen im Sie­ger­land, son­dern auch die leben­di­ge Tra­di­ti­on der gemein­schaft­li­chen Arbeit und Orga­ni­sa­ti­on, die bis heu­te fort­be­steht.

Die Auf­nah­me in das Bun­des­wei­te Ver­zeich­nis des Imma­te­ri­el­len Kul­tur­er­bes unter­streicht, dass es sich bei der Hau­bergs­wirt­schaft um mehr han­delt als nur eine Form der Forst­wirt­schaft. Sie ist ein kom­ple­xes Sys­tem aus über­lie­fer­tem Wis­sen, prak­ti­schen Fähig­kei­ten, sozia­len Struk­tu­ren (den Hau­bergs­ge­nos­sen­schaf­ten) und kul­tu­rel­len Bräu­chen. Die­se Aner­ken­nung trägt maß­geb­lich dazu bei, das Bewusst­sein für den Wert die­ser Tra­di­ti­on zu schär­fen und ihre Erhal­tung für zukünf­ti­ge Gene­ra­tio­nen zu för­dern.

Mit der Aner­ken­nung sind auch Anstren­gun­gen zur Doku­men­ta­ti­on und Wei­ter­ga­be des Wis­sens ver­bun­den. Pro­jek­te und Initia­ti­ven bemü­hen sich, die Tech­ni­ken, Regeln und sozia­len Aspek­te der Hau­bergs­wirt­schaft zu erfas­sen und zugäng­lich zu machen. Dies ist essen­zi­ell, da das prak­ti­sche Wis­sen oft infor­mell inner­halb der Gemein­schaf­ten wei­ter­ge­ge­ben wird. Die Bewer­bung der Hau­bergs­wirt­schaft als imma­te­ri­el­les Welt­kul­tur­er­be, über die unter ande­rem in Bewer­bung ist auf dem Weg: Hau­bergs­wirt­schaft soll imma­te­ri­el­les … (siegen-wittgenstein.de) berich­tet wur­de, zeigt den über­re­gio­na­len Stel­len­wert und das Bestre­ben, die­se ein­zig­ar­ti­ge Form der Wald­nut­zung und Gemein­schaft inter­na­tio­nal zu wür­di­gen.

Her­aus­for­de­run­gen und Zukunfts­per­spek­ti­ven

Trotz ihrer Aner­ken­nung als Kul­tur­er­be steht die Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land heu­te vor zahl­rei­chen Her­aus­for­de­run­gen. Einer der größ­ten Fak­to­ren ist der demo­gra­fi­sche Wan­del. Die Über­al­te­rung in länd­li­chen Regio­nen und die Abwan­de­rung jün­ge­rer Gene­ra­tio­nen füh­ren dazu, dass weni­ger Arbeits­kräf­te für die phy­sisch anspruchs­vol­le Arbeit im Hau­berg zur Ver­fü­gung ste­hen. Das über­lie­fer­te Wis­sen muss aktiv wei­ter­ge­ge­ben wer­den, um nicht ver­lo­ren zu gehen.

Auch öko­no­mi­sche Fak­to­ren spie­len eine Rol­le. Die Ren­ta­bi­li­tät der tra­di­tio­nel­len Hau­bergspro­duk­te wie Brenn­holz hat sich ver­än­dert. Moder­ne Heiz­sys­te­me und güns­ti­ge­re Ener­gie­quel­len kon­kur­rie­ren mit dem Holz aus dem Hau­berg. Die Anpas­sung an neue Märk­te und die Ent­wick­lung inno­va­ti­ver Nut­zungs­kon­zep­te sind not­wen­dig.

Der Kli­ma­wan­del stellt eine wach­sen­de Bedro­hung dar. Tro­cken­heit, Hit­ze­wel­len und neue Schäd­lin­ge set­zen den Wäl­dern, auch den Hau­ber­gen, zu. Die tra­di­tio­nel­len Baum­ar­ten und Bewirt­schaf­tungs­me­tho­den müs­sen mög­li­cher­wei­se an ver­än­der­te Umwelt­be­din­gun­gen ange­passt wer­den, um die Wider­stands­fä­hig­keit der Bestän­de zu gewähr­leis­ten.

Die Zukunfts­per­spek­ti­ven der Hau­bergs­wirt­schaft lie­gen in der Bewah­rung des Kerns der Tra­di­ti­on bei gleich­zei­ti­ger Offen­heit für not­wen­di­ge Anpas­sun­gen. Die gemein­schaft­li­che Struk­tur der Hau­bergs­ge­nos­sen­schaf­ten bie­tet eine gute Basis für den gemein­sa­men Umgang mit Her­aus­for­de­run­gen. Pro­jek­te zur För­de­rung des Nach­wuch­ses, zur Moder­ni­sie­rung der Arbeits­pro­zes­se und zur Erschlie­ßung neu­er Wert­schöp­fungs­ket­ten (z. B. im Bereich Natur­schutz, Tou­ris­mus oder spe­zi­el­le Holz­pro­duk­te) sind ent­schei­dend für den Erhalt die­ser ein­zig­ar­ti­gen Kul­tur­land­schaft und Wirt­schafts­form. Die Aner­ken­nung als Kul­tur­er­be bie­tet zudem Chan­cen für die Stär­kung der regio­na­len Iden­ti­tät und die Inan­spruch­nah­me von För­der­mit­teln.

Wei­ter­füh­ren­de Quel­len

Die Hau­bergs­wirt­schaft im Sie­ger­land und in angren­zen­den Regio­nen (https://www.unesco.de/kultur-und-bildung/immaterielles-kulturerbe/bundesweites-verzeichnis/eintrag/haubergswirtschaft-im-siegerland-und-in-angrenzenden-regionen) – Die­se Quel­le beschreibt die Hau­bergs­wirt­schaft als gemein­schaft­li­che Wald­be­wirt­schaf­tung und imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be der UNESCO.
Hau­berg – Wiki­pe­dia (https://de.wikipedia.org/wiki/Hauberg) – Die­ser Arti­kel bie­tet eine all­ge­mei­ne Defi­ni­ti­on und his­to­ri­sche Ein­ord­nung der Hau­bergs­wirt­schaft sowie Infor­ma­tio­nen zur Auf­nah­me ins Bun­des­wei­te Ver­zeich­nis des imma­te­ri­el­len Kul­tur­er­bes.