Der Bundestag steht am heutigen 25. September 2025 erneut vor einer entscheidenden Abstimmung, die weit über die bloße Besetzung dreier Richterposten am Bundesverfassungsgericht hinausgeht. Es ist ein Lackmustest für die Stabilität der amtierenden Schwarz-Roten Koalition und ein Indikator für die Fähigkeit der politischen Mitte, konsensfähige Lösungen für fundamentale Staatsinstitutionen zu finden. Nachdem ein erster Wahlversuch im Juli spektakulär gescheitert war, richtet sich der Blick erneut auf Berlin und Karlsruhe, wo die Grundpfeiler des Rechtsstaats auf eine zügige und überparteiliche Besetzung drängen.
Die Bedeutung der Verfassungsrichterwahl für den Rechtsstaat
Die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe sind die Hüter der Verfassung. Ihre Entscheidungen prägen die rechtliche und gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik maßgeblich, indem sie die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Grundgesetz prüfen und somit die Checks and Balances im politischen System gewährleisten. Die Besetzung dieser Positionen ist daher keine Routineangelegenheit, sondern ein Akt von höchster politischer und verfassungsrechtlicher Relevanz. Jede Verzögerung oder parteipolitische Zuspitzung bei der Wahl kann das Ansehen und die Funktionsfähigkeit des Gerichts beeinträchtigen. Das Gericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern, die je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Für die Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, um sicherzustellen, dass die Besetzung des Gerichts von einem breiten politischen Konsens getragen wird und eine Politisierung im Sinne einer reinen Regierungsmehrheitsbesetzung verhindert wird.
Politischer Zwist: Der Sommer der gescheiterten Wahl
Der erste Anlauf zur Richterwahl im Juli 2025 endete in einem politischen Fiasko und einer handfesten Koalitionskrise. Die SPD hatte ursprünglich die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf nominiert, doch in der Unionsfraktion formierte sich massiver Widerstand. Ausschlaggebend waren Brosius-Gersdorfs liberale Positionen zum Abtreibungsrecht, ihre frühere Befürwortung einer allgemeinen Impfpflicht während der Corona-Pandemie und sogar öffentlich geäußerte, aber widerlegte Plagiatsvorwürfe gegen ihre Doktorarbeit.
Die parteiinternen Widerstände in der Union waren so groß, dass Fraktionschef Jens Spahn die Reißleine zog und die für den 11. Juli geplante Wahl kurzfristig von der Tagesordnung nehmen ließ. Dieser Schritt, der im Sommer für erhebliche Verstimmung sorgte, wurde von vielen als „Desaster“ für Jens Spahn und eine Erschütterung des Vertrauens innerhalb der Koalition gewertet. Bundeskanzler Friedrich Merz verteidigte Spahn zwar, doch der Schaden für das Ansehen der Schwarz-Roten Koalition war immens. Die Linke und Grüne kritisierten die Union scharf für das Scheitern, da der Wahlausschuss die Kandidaten zuvor bereits mit Zweidrittelmehrheit bestätigt hatte.
Neue Kandidaten, neue Hoffnung: Der zweite Anlauf
Nach dem Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf im August hat die SPD für den heutigen Wahltag eine Ersatzkandidatin präsentiert: Sigrid Emmenegger. Die Richterin am Bundesverwaltungsgericht gilt als weniger angreifbar und hat im Richterwahlausschuss des Bundestags die notwendige Zweidrittelmehrheit erhalten. Unionsfraktionsvorsitzender Jens Spahn lobte Emmenegger demonstrativ, was auf eine breitere Akzeptanz innerhalb der Union hindeutet.
Neben Emmenegger stehen zwei weitere Kandidaten zur Wahl:
- Ann-Katrin Kaufhold, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht aus München, ebenfalls von der SPD nominiert. Sie soll voraussichtlich sogar zur Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts aufsteigen und würde in fünf Jahren die Präsidentschaft übernehmen. Ihre Nominierung stieß jedoch bei der AfD auf Kritik, die ihre politischen Positionen zu Klimaschutz und Vergesellschaftungen als „aktivistisch“ bezeichnet.
- Günter Spinner, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht. Er wurde vom Bundesverfassungsgericht selbst vorgeschlagen und von der CDU/CSU-Fraktion nominiert.
Die Herausforderung der Zweidrittelmehrheit und parteiinterne Dynamiken
Die Zweidrittelmehrheit im Bundestag bleibt die zentrale Hürde. Da die Schwarz-Rote Koalition diese Mehrheit allein nicht besitzt, ist sie auf Stimmen der Opposition angewiesen. Insbesondere die Stimmen der Grünen und der Linken sind entscheidend, um eine Abhängigkeit von der AfD zu vermeiden, die ebenfalls für Günter Spinner stimmen will. Obwohl es anfänglich Irritationen gab, da Grüne und Linke sich in den Sommergesprächen nicht ausreichend eingebunden fühlten, hat die Linke ihre Abgeordneten nun zur „Gewissensfrage“ aufgerufen, was die Chancen für alle drei Kandidaten erheblich verbessert.
Der gescheiterte erste Wahlgang verdeutlichte nicht nur die interne Zerstrittenheit der Koalition, sondern auch die Gefahr einer Politisierung der Richterwahl. Kritiker sahen, dass fachliche Qualifikation hinter ideologischen Vorbehalten zurücktrat, was das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts beschädigen könnte. Die aktuelle Situation erfordert von allen demokratischen Parteien ein hohes Maß an politischen Kompromissen und Verantwortungsbewusstsein.
Fazit
Die heutige Verfassungsrichterwahl am 25. September 2025 ist mehr als ein administrativer Akt; sie ist ein entscheidender Test für die deutsche Politik. Nach dem Debakel im Juli hat die Schwarz-Rote Koalition einen neuen Anlauf gewagt und scheint – nicht zuletzt durch den Kompromiss bei der SPD-Kandidatin Sigrid Emmenegger und die Freigabe der Stimmen durch Die Linke – auf einem guten Weg zu sein. Die Wahl von Ann-Katrin Kaufhold, die perspektivisch die Spitze des Gerichts übernehmen könnte, und Günter Spinner würde die wichtige Arbeit des Bundesverfassungsgerichts sichern. Ein erfolgreicher Wahlgang heute wäre ein wichtiges Signal für die Handlungsfähigkeit der demokratischen Kräfte und die Stabilität der Institutionen in einer zunehmend fragmentierten politischen Landschaft. Ein erneutes Scheitern hingegen würde die Koalition weiter destabilisieren und das Vertrauen in die politischen Akteure und das höchste Gericht des Landes nachhaltig erschüttern. Die Spannung in Berlin bleibt hoch, doch die Zeichen stehen auf eine positive Wendung.
Weiterführende Quellen
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/verfassungsrichterwahl-die-zweite-fiasko





