Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich für die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und menschenwürdiger Arbeit für alle einsetzt. Im Juni 2019 verabschiedete die Internationale Arbeitskonferenz, das höchste Entscheidungsgremium der ILO, die Jahrhunderterklärung für die Zukunft der Arbeit, ein Dokument, das die Vision und die Ziele der ILO für die Gestaltung einer inklusiven, gerechten und nachhaltigen Arbeitswelt darlegt. Dieser Artikel untersucht, wie die Jahrhunderterklärung die Arbeitswelt in Deutschland prägt und welche Herausforderungen und Chancen sie mit sich bringt.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Die ILO wurde im Jahr 1919 gegründet, um den sozialen Frieden und den Fortschritt durch internationale Standards und Zusammenarbeit zu fördern. Die ILO ist die einzige Organisation der Vereinten Nationen, in der Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt vertreten sind. Die ILO hat bislang 190 Konventionen und 206 Empfehlungen verabschiedet, die verschiedene Aspekte der Arbeits- und Sozialpolitik regeln.
Die Jahrhunderterklärung ist das Ergebnis eines langjährigen Prozesses, der im Jahr 2015 mit der Einsetzung einer unabhängigen Weltkommission für die Zukunft der Arbeit begann. Die Weltkommission bestand aus 27 Mitgliedern aus verschiedenen Bereichen und Regionen, die sich mit den Veränderungen in der Arbeitswelt beschäftigten, die durch den technologischen Wandel, den Klimawandel, die Globalisierung und den demografischen Wandel verursacht werden. Die Weltkommission veröffentlichte im Januar 2019 ihren Bericht, in dem sie einen menschenzentrierten Ansatz für die Wirtschafts‑, Sozial- und Umweltpolitik vorschlug. Der Bericht diente als Grundlage für die Erarbeitung der Jahrhunderterklärung, die im Juni 2019 von der Internationalen Arbeitskonferenz anlässlich des 100-jährigen Bestehens der ILO verabschiedet wurde.
Die Jahrhunderterklärung enthält fünf Hauptelemente:
- Eine erneute Bekräftigung des Mandats der ILO für soziale Gerechtigkeit
- Eine Anerkennung der Herausforderungen und Chancen, die sich aus dem technologischen Wandel, dem Klimawandel, der Globalisierung und der Demographie ergeben
- Eine Festlegung von zehn grundlegenden Rechten bei der Arbeit
- Eine Förderung eines menschenzentrierten Ansatzes für die Gestaltung der Zukunft der Arbeit
- Eine Erneuerung des Engagements für den Multilateralismus und die internationale Zusammenarbeit
Analyse
Die Jahrhunderterklärung ist für die deutsche Arbeitsmarktpolitik von großer Bedeutung, denn sie zeigt uns, wie wir uns an die Veränderungen in der Arbeitswelt anpassen können. Deutschland ist nicht nur ein Gründungsmitglied der ILO, sondern auch ein wichtiger Akteur in der europäischen und globalen Wirtschaft. Deshalb hat Deutschland eine Verantwortung, eine soziale Dimension in der internationalen Zusammenarbeit zu fördern.
Die deutsche Arbeitsmarktpolitik muss sich vielen Herausforderungen stellen, die durch die Digitalisierung, den Klimawandel, die Globalisierung und den demografischen Wandel verursacht werden. Diese Herausforderungen betreffen verschiedene Aspekte der Arbeit, wie zum Beispiel die Formen, die Qualifikationen, die Verteilung und die Nachhaltigkeit der Arbeit. Um diese Herausforderungen zu meistern, muss die deutsche Arbeitsmarktpolitik sich an einem menschenzentrierten Ansatz orientieren, der die soziale Gerechtigkeit und die menschenwürdige Arbeit für alle fördert. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren der Arbeitswelt, wie Regierungen, Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Sozialpartnern, Zivilgesellschaft, Bildungseinrichtungen und internationalen Organisationen.
Lassen Sie uns nun einige dieser Herausforderungen genauer betrachten und sehen, wie die deutsche Arbeitsmarktpolitik darauf reagiert hat oder reagieren sollte.
- Eine Herausforderung ist die Anpassung an den digitalen Wandel, der neue Formen der Arbeit schafft, wie Plattformarbeit, Crowdwork oder Solo-Selbstständigkeit. Diese Formen der Arbeit haben Vor- und Nachteile. Einerseits bieten sie Flexibilität und Autonomie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Andererseits bringen sie auch Unsicherheit und Prekarität mit sich. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben oft keinen Zugang zu sozialer Sicherung oder kollektiver Vertretung. Deshalb brauchen wir einen Rechtsrahmen, der diese Formen der Arbeit anerkennt und reguliert, sowie eine soziale Sicherung, die sie abdeckt. Die Bundesregierung hat einige Schritte in diese Richtung unternommen, aber es ist noch viel zu tun. Zum Beispiel hat sie ein Gesetz zur Verbesserung der sozialen Sicherung von Selbstständigen eingeführt, das ihnen den Zugang zu Kranken‑, Pflege- und Rentenversicherung erleichtert. Sie hat auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf Plattformarbeit erweitert, das den Plattformarbeitern mehr Rechte und Schutz gewährt. Außerdem hat sie einen Dialogprozess zur Zukunft der Arbeit gestartet, der alle relevanten Akteure einbezieht und Empfehlungen für eine faire Gestaltung der digitalen Arbeitswelt erarbeiten soll.
- Eine andere Herausforderung ist die Verbesserung der Qualifikationen und Kompetenzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um ihre Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit zu erhöhen. Die Digitalisierung erfordert eine ständige Weiterbildung und Umschulung, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen neue Fähigkeiten erwerben oder bestehende Fähigkeiten aktualisieren, um auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb brauchen wir eine bessere Verknüpfung von Bildung und Arbeit sowie eine Förderung des lebenslangen Lernens. Die Bundesregierung hat einige Schritte in diese Richtung unternommen, aber es ist noch viel zu tun. Zum Beispiel hat sie ein Qualifizierungschancengesetz eingeführt, das die Förderung von Weiterbildung und Umschulung durch die Bundesagentur für Arbeit verbessert. Sie hat auch eine Nationale Weiterbildungsstrategie geschaffen, die die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern, Sozialpartnern und Wirtschaft fördert. Außerdem hat sie eine Nationale Agentur für Sprunginnovationen gegründet, die die Entwicklung und Verbreitung von innovativen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen unterstützt.
- Eine weitere Herausforderung ist die Förderung einer gerechten Verteilung von Arbeit und Einkommen, um Armut und Ungleichheit zu bekämpfen. Die Digitalisierung führt zu einer Polarisierung der Arbeitsmärkte, bei der die mittleren Qualifikations- und Einkommensgruppen schrumpfen und die hohen und niedrigen Gruppen wachsen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den niedrigen Gruppen sind oft von Armut, Ausgrenzung oder Diskriminierung bedroht. Deshalb brauchen wir eine progressive Besteuerung, einen angemessenen Mindestlohn, eine Stärkung der Tarifverhandlungen und eine Reduzierung der geschlechtsspezifischen Lohnlücke. Die Bundesregierung hat einige Schritte in diese Richtung unternommen, aber es ist noch viel zu tun. Zum Beispiel hat sie den Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde ab 2023 erhöht, was etwa 60 Prozent des Medianlohns entspricht. Sie hat auch eine Grundrente für Geringverdiener eingeführt, die ihnen einen Zuschlag auf ihre gesetzliche Rente gewährt. Außerdem hat sie ein Gesetz zur Entgelttransparenz verabschiedet, das die Arbeitgeber verpflichtet, die Löhne von Frauen und Männern offenzulegen und zu begründen.
- Eine letzte Herausforderung ist die Unterstützung einer sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern und grüne Jobs zu schaffen. Die Klimakrise erfordert eine Umstellung auf erneuerbare Energien, eine Verbesserung der Energieeffizienz, eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich an diese Veränderungen anpassen und neue Möglichkeiten nutzen. Deshalb brauchen wir eine Förderung von Innovationen, Investitionen und Anreizen für eine nachhaltige Entwicklung sowie eine Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Bewältigung des Strukturwandels. Die Bundesregierung hat einige Schritte in diese Richtung unternommen, aber es ist noch viel zu tun. Zum Beispiel hat sie ein Klimaschutzgesetz verabschiedet, das verbindliche Ziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen festlegt. Sie hat auch ein Strukturstärkungsgesetz geschaffen, das den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 begleitet und den betroffenen Regionen finanzielle Hilfen und Perspektiven bietet.
Um diese Herausforderungen zu meistern, muss die deutsche Arbeitsmarktpolitik sich an den Prinzipien und Zielen der Jahrhunderterklärung orientieren und einen menschenzentrierten Ansatz verfolgen, der die Bedürfnisse, Bestrebungen und Rechte aller Menschen berücksichtigt. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren der Arbeitswelt, die gemeinsam eine inklusive, gerechte und nachhaltige Zukunft der Arbeit gestalten können.
Schlussfolgerung
Die Jahrhunderterklärung ist ein wegweisendes Dokument, das die Vision und die Ziele der ILO für die Zukunft der Arbeit darlegt. Die Jahrhunderterklärung ist auch ein wichtiger Bezugspunkt für die deutsche Arbeitsmarktpolitik, die sich an den Veränderungen in der Arbeitswelt anpassen muss. Die deutsche Arbeitsmarktpolitik muss sich an einem menschenzentrierten Ansatz orientieren, der die soziale Gerechtigkeit und die menschenwürdige Arbeit für alle fördert. Dies erfordert eine aktive Beteiligung aller Akteure der Arbeitswelt, die gemeinsam eine inklusive, gerechte und nachhaltige Zukunft der Arbeit gestalten können.
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