Von der politischen Idee zur juristischen Hängepartie: Was Unternehmen, Betriebsräte und Anbieter jetzt wissen müssen.
Seit Ende 2024 liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der erstmals eine ergänzende Online-Stimmabgabe bei Betriebsratswahlen ermöglichen soll. Der neue § 18b BetrVG ist Teil des sogenannten Tariftreuegesetzes, das ursprünglich zum 1. Juli 2025 in Kraft treten sollte. Doch im Mai 2025 herrscht große Unsicherheit: Das Gesetz wurde nicht verabschiedet, die letzte Legislaturperiode ist ausgelaufen, und noch ist unklar, wie die neue Regierung damit umgeht. Zugleich wären bereits jetzt Vorbereitungen notwendig, um die Online-Wahl 2026 überhaupt rechtskonform umsetzen zu können.
Ursprung und politische Entwicklung
Die Idee der Online-Betriebsratswahl wurde erstmals 2021 im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition angekündigt. Die CDU/CSU-Fraktion brachte 2022 einen eigenen Antrag (BT-Drs. 20/4335) in den Bundestag ein, der ein rechtssicheres Online-Wahlverfahren forderte. Die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 6. November 2023 zeigte, dass die Idee parteiübergreifend Unterstützung fand – mit Vorbehalten hinsichtlich Datenschutz, technischer Sicherheit und der Rolle von Präsenzwahlformaten.
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 20/14345), eingebracht am 20. Dezember 2024, wurde der § 18b BetrVG in das geplante Tariftreuegesetz integriert. Dieser Paragraph sah eine befristete Einführung der Online-Stimmabgabe für die regulären BR-Wahlen 2026 vor. Doch die Gesetzeslage ist ins Stocken geraten – und zwar kurz vor Inkrafttreten.
Was sieht § 18b BetrVG vor?
- Ergänzende Online-Stimmabgabe möglich (nicht als Ersatz)
- Zustimmung von Arbeitgeber und Betriebsrat erforderlich
- Nur BSI-zertifizierte Wahlsysteme erlaubt (nach Schutzprofil BSI-CC-PP-0121)
- Wahlvorstand spätestens 26 Wochen vor Ende der Amtszeit zu bestellen
- Meldung an das BMAS erforderlich
- Evaluation nach der Wahl durch das BMAS
- Detailregelungen sollen per Rechtsverordnung erfolgen
Der Gesetzgebungsprozess – und sein Stillstand
Obwohl der Bundesrat keine Einwände erhob (BR-Drs. 588/24), wurde das Gesetz im Bundestag nicht mehr beschlossen. Grund: Der Koalitionsbruch der Ampel und die damit verbundene vorzeitige Auflösung des Bundestages. Der Entwurf fiel somit der Diskontinuität anheim. Aus parlamentarischer Sicht ist das Gesetz damit nicht mehr existent. Auch eine Verabschiedung bis zum vorgesehenen Inkrafttreten am 01.07.2025 gilt als äußerst unwahrscheinlich.
Regierungskonflikte und politische Blockaden
In der letzten Legislatur wurde das Gesetz trotz anfänglichem Einvernehmen zunehmend zum Spielball interner Konflikte. Die FDP blockierte über Wochen das Tariftreuegesetz – weniger wegen § 18b BetrVG, sondern wegen des geplanten Ausschlusses tarifloser Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen. Der Nationale Normenkontrollrat kritisierte zudem zu hohe Bürokratielasten. Das Kabinett beschloss das Gesetz zwar, doch es wurde nicht rechtzeitig im Parlament beraten. Die Ampel zerbrach, und der Entwurf verjährte parlamentarisch.
Was steht im neuen Koalitionsvertrag?
Im neuen Koalitionsvertrag 2025, unterzeichnet von CDU/CSU und SPD, wird sowohl das Thema Tariftreuegesetz als auch die Modernisierung der Mitbestimmung adressiert. CDU und SPD bekennen sich zu mehr digitaler Mitbestimmung – jedoch ohne expliziten Verweis auf § 18b BetrVG. Offen ist, ob die neue Regierung den bestehenden Entwurf übernimmt, verändert oder erneut verhandelt. Möglich ist auch, dass § 18b in ein separates Gesetz ausgelagert wird, um den Zeitplan zu retten.
Was bedeutet das für die Praxis?
Gerade weil § 18b BetrVG umfangreiche Vorlaufzeiten vorsieht (z. B. Bestellung des Wahlvorstands 26 Wochen vor Amtsende), drohen reale Probleme:
- Rechtsunsicherheit: Gilt das Gesetz ab Juli 2025 oder nicht? Niemand weiß es genau.
- Investitionsunsicherheit: Anbieter digitaler Wahlsysteme stehen ohne klare Marktgrundlage da.
- Kommunikationsdefizit: Es fehlt jede offizielle Klarstellung durch das BMAS oder die Bundesregierung.
- Verlust an Planungssicherheit: Betriebsräte, die 2026 digital wählen wollen, könnten zu spät dran sein, wenn das Gesetz in letzter Minute doch verabschiedet wird.
- Vertrauensdefizit: Gesetzgebung mit angekündigtem Datum, aber ohne Umsetzung, gefährdet das Vertrauen in rechtsstaatliche Planbarkeit.
Welche Fragen stellen sich aktuell?
- Wird der § 18b BetrVG in gleicher oder veränderter Form erneut eingebracht?
- Kommt das Tariftreuegesetz überhaupt noch?
- Wird das Gesetz rückwirkend in Kraft gesetzt – oder mit neuem Zeitplan?
- Wie verhält sich das BMAS gegenüber Unternehmen, die jetzt schon Vorbereitungen treffen?
- Ist eine separate Regelung zur Online-Wahl unabhängig vom Tariftreuegesetz denkbar?
- Wie können Betriebsräte und Anbieter sich auf diese Hängepartie vorbereiten?
- Was passiert mit bereits begonnenen Zertifizierungsverfahren für Online-Wahlsoftware?
Fazit
Die digitale Betriebsratswahl könnte ein moderner Meilenstein sein – aber bisher ist sie ein Beispiel für politische Inkonsistenz. Ein Gesetz mit Inkrafttreten zum 01.07.2025 liegt zwar als Entwurf vor, wurde aber nicht verabschiedet. Die neue Bundesregierung zeigt grundsätzliches Interesse, aber der Weg ist unklar. Für die Praxis bedeutet das: beobachten, absichern, nicht vorschnell investieren – aber vorbereitet sein, wenn das Gesetz doch noch kommt. Die Zeit läuft.
Quellen (Auszug):
- BT-Drs. 20/14345 – Gesetzentwurf Tariftreuegesetz (PDF)
- BT-Drs. 20/4335 – CDU/CSU-Initiative zur Online-Wahl (PDF)
- BR-Drs. 588/24 – Stellungnahme Bundesrat (PDF)
- Anhörung vom 06.11.2023 – Ausschuss für Arbeit und Soziales (bundestag.de)
- Koalitionsvertrag 2025 – CDU/CSU & SPD (bundesregierung.de)
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